Sorge- und Umgangsrecht nichtehelicher Eltern
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet über Umgangsrecht des „ nichtehelichen“ Vaters mit dem mutmaßlichen Sohn, der einen anderen „ gesetzlichen“ Vater hat ?!
„Zeit, dass sich was dreht“ – so singt Herbert Grönemeyer. Bei den Rechten der „ nichtehelichen“ Vätern sorgt der europäische Gerichtshof immer mal wieder dafür, „dass sich dreht“. In einer – wenn auch noch nicht rechtskräftigen - Entscheidung zum Umgangsrecht zwischen nichtehelichem Vater und seinem Kind hat er den deutschen Familiengerichten eine Pflicht zu mehr Ermittlung und Abwägung ins Stammbuch geschrieben.Fragen aus dem Familienrecht - darum ging es:
Der „ nichteheliche“ Vater hatte eine Beziehung mit einer verheirateten Frau und behauptete, der leibliche Vater des Sohnes F., den diese Frau geboren hat. Die Frau kehrte jedoch zu ihrem Ehemann zurück. Das Ehepaar vertrat sodann die Auffassung, dass beide Männer möglicherweise der leibliche Vater von F. sein könnten, man es im Interesse des familiären Zusammenlebens aber vorziehe, die Vaterschaft nicht feststellen zu lassen.
Zuvor hatte der „ nichteheliche“ Vater die Kindesmutter zu mindestens zwei ärztlichen Untersuchungen begleitet und beim Jugendamt die Vaterschaft des ungeborenen Kindes anerkannt. Nach der Geburt des Kindes stellte er einen Antrag auf Umgang zweimal im Monat und auf regelmäßige Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Jungen.
Das Amtsgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, dass er, selbst unter der Annahme, er sei der biologische Vater, zu keiner der Personengruppen gehöre, die nach dem BGB umgangsberechtigt sind, weil er nicht der rechtliche Vater des Kindes sei. Er habe kein Recht die Vaterschaft des Ehemannes anzufechten, da wegen bestehender Ehe eine sozial-familiäre Bindung zwischen Kind und gesetzlichem Vater bestehe.
Der nichteheliche Vater durchlief sodann erfolglos den Rechtsweg. Die Gerichte entschieden, dass unerheblich sei, ob er tatsächlich der biologische Vater des fraglichen Kindes sei oder nicht. Sie unterstellten seine Vaterschaft und lehnten seinen Antrag wegen der fehlenden gesetzlichen Vaterschaft und des Bestehens einer sozial-familiäre Bindung mit dem „ehelichen“ Vater ab. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. (Beschl. v. 20.09.2006 - 1 BvR 1337/06).
Hintergrund :
sind die gesetzlichen Regeln des BGB. Vater eines Kindes ist danach der Mann, mit dem die Kindesmutter im Zeitpunkt der Geburt verheiratet war. Vater eines Kindes kann zwar auch der Mann sein, der die Vaterschaft anerkennt. Es gilt aber die „ Highländerregel“: Es kann nur einer sein. Eine bestehende gesetzliche Vaterschaft sperrt die Vaterschaft für alle weiteren gesetzlich vorgesehenen Vaterschaftstatbestände. Die Anfechtung der Vaterschaft durch den nichtehelichen Vater ist zwar durch gesetzliche Neuregelung in der Vergangenheit geschaffen worden. Sie ist nach § 1600 Abs. 2 BGB aber nur dann zulässig, wenn der „ eheliche“ Vater keine sozio-familiäre Beziehung zu dem geborenen Kind hat oder hatte. So soll die Familie gegen ein Eindringen eines biologischen Vaters von außen abgeschottet bleiben können. Das Umgangsrecht des § 1684 BGB wiederum knüpft an die Elternschaft an. Danach ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind berechtigt und verpflichtet. Das Anknüpfen an die biologische statt an die gesetzliche Elternschaft würde zu dieser Zielsetzung kontraproduktiv sein, so dass die Gerichte daran ihre Entscheidungen ausrichteten.
Verfahren:
Der „nichteheliche“ Vater wandte sich deshalb mit einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof und rügte einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Er beanstandete, dass die deutschen Gerichte ihm zu Unrecht den Umgang mit seinem mutmaßlichen Sohn und Auskunft über dessen Entwicklung verweigerten. Weiter beschwerte er sich, dass die Gerichte den maßgeblichen Sachverhalt im Hinblick auf die Beziehung zu seinem Sohn nicht ausreichend aufgeklärt hätten, dass sie insbesondere keine Klärung der Vaterschaft angeordnet und nicht geprüft hätten, ob sein Umgangsrecht im Interesse des Kindeswohls läge.
Entscheidung:
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes liest sich in der Diktion der Pressemitteilungen einfach, hat es aber in der Sache in sich. Ob daraus zukünftig und schnell für nichteheliche Väter Veränderungen resultieren, scheint zumindest fraglich. Der Europäische Gerichtshof nimmt eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens und der Europäischen Menschenrechtskonvention(EMRK) an.
Die Entscheidungen der deutschen Gerichte den Umgang mit dem mutmaßlichen Sohn und Auskunft über dessen persönliche Verhältnisse zu verwehren, sollen danach einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Absicht des Beschwerdeführers, eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, in den Geltungsbereich des "Familienlebens" gemäß Artikel 8 fiele. Selbst wenn die Frage, ob er ein Umgangs- und Auskunftsrecht beanspruchen könnte, nicht als "Familienleben" gelten könne, so beträfe sie aber in jedem Fall einen wichtigen Teil seiner Identität und folglich sein "Privatleben" im Sinne von Artikel 8.
Im Hinblick auf die Frage, ob der Eingriff in Herrn S. Rechte gerechtfertigt war, nahm der Europäische Gerichtshof allerdings zur Kenntnis, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte jeweils mit den maßgeblichen Bestimmungen des deutschen BGB in Einklang standen. Diese zielten darauf ab, die Interessen des Ehepaares sowie der während der Ehe geborenen Kinder, die bei ihm lebten, zu schützen. Der Europäische Gerichtshof rügte allerdings, dass die deutschen Gerichte den Umgang des nichtehelichen Vaters mit seinem mutmaßlichen Sohn und Auskunft über dessen persönliche Verhältnisse verwehrt hätten, ohne zu untersuchen, ob ein solches Umgangs- und Auskunftsrecht unter den besonderen Umständen des Falls im Kindeswohlinteresse läge oder ob die Interessen Herrn S. als denjenigen der rechtlichen Eltern übergeordnet angesehen werden müssten. Der EGMR bezog sich dabei auf einen Fall, der die Weigerung der deutschen Gerichte betraf, einem Vater Umgang mit seinen Kindern zu gewähren, die bei ihrer Mutter und deren Ehemann lebten, ohne dabei zu berücksichtigen, ob Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern in deren Interesse läge (EGMR Urt. v. 21.12.2010 – Az.: 20578/07 ). Damals hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die deutschen Gerichte keine gerechte Abwägung der konkurrierenden Interessen vorgenommen hatten.
Der Europäische Gerichtshof betonte nunmehr erneut, dass es Aufgabe der nationalen Gerichte ist – die mit allen Beteiligten in direktem Kontakt stehen - festzustellen, ob Kontakte zwischen einem biologischen Vater und seinem Kind in dessen Interesse liegen oder nicht. Allerdings sei man nicht davon überzeugt, dass das Interesse von Kindern, die bei ihrem rechtlichen Vater leben, aber einen anderen biologischen Vater haben, tatsächlich mit Hilfe einer allgemeinen rechtlichen Vermutung ermittelt werden könne. In Anbetracht der großen Vielfalt möglicherweise betroffener Familienkonstellationen erfordere die gerechte Abwägung der Rechte aller Beteiligten eine Untersuchung der besonderen Umstände des Falls. Im entschiedenen Fall hatten die deutschen Gerichte keine solche Untersuchung vorgenommen. Folglich lag eine Verletzung von Artikel 8 vor.
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